Das Harmonium von Hausvater Hermann

Das Harmonium von Hausvater Hermann

Dieses Harmonium stammt aus einer ganz anderen Zeit. Es gehörte dem Hausvater und Leiter der Zieglerschen während des zweiten Weltkrieges – Hausvater Hermann.

Einerseits erinntert das Harmonium als Musikinstrument jener Zeit an die musikalische Begleitung der Gemeinschaft. Andererseits steht es hier auch für die traurige Erfahrung der Euthanasie, die auch vor Wilhelmsdorf und seinen diakonischen Einrichtungen im Dritten Reich nicht Halt machte.

So erinnert das Harmonium hier auch an den Kampf um das Leben vieler Menschen mit Behinderung.

Wilhelmsdorf hatte sich im Laufe der Jahre von einer kleinen pietistischen Siedlung zu einem Dorf der Diakonie, der Hilfe für Menschen in Not, entwickelt. Die größte Hilfseinrichtung nannte sich „Die Zieglerschen Anstalten“ (heute „Die Zieglerschen“). Sie bot sehr vielen Menschen mit einer geistigen und einer Hörbehinderung Schutz und Hilfe.

Als die Euthanasiepläne des Dritten Reiches auch nach Wilhelmsdorf gelangten, versuchte Hausvater Hermann, der für die Menschen mit Behinderung zuständig war, lange das verpflichtende Ausfüllen der planwirtschaftlichen Erfassungslisten zuvermeiden. In diesen Listen wurde bewertet, wie groß der wirtschaftliche Nutzen der Menschen mit Behinderung war. Wer zu wenig Nutzen brachte, sollte der Euthanasie zum Opfer fallen.

Hermann war ein entschiedener Euthanasiegegner und schrieb:

„Für die Erfassung der Pfleglinge treibt es mich zu folgender Feststellung: […] Ich weiß von den vielen Todesnachrichten […] und kann da gewissenhalber nicht schweigen und nicht mitmachen. […] Ich habe einfach die Überzeugung, dass die Obrigkeit mit der Tötung gewisser Kranker ein Unrecht begeht. Die Vernichtung des Lebens […] steht uns Menschen nicht zu. Gott sagt: Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch wieder vergossen werden! Es tut mir leid, aber man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen. Ich bin bereit die Folgen meines Ungehorsams auf mich zu nehmen.“ (Bühler A. (Hg.) (1999). 175 Jahre Wilhelmsdorf. Festschrift. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Wilhelmsdorf, S. 59f.)

Erst unter viel Druck von oben wurde schließlich eine Liste von wenigen Personen abgegeben, die dann tatsächlich alle deportiert wurden.

Von 19 Menschen, die daraufhin mit den grauen Bussen abgeholt wurden, kam nur einer, Ernst Weiss, Dank des Einsatzes seiner Mutter zurück. Alle anderen wurden in Hadamar ermordet. Auf dem Friedhof in Wilhelmsdorf finden sich dazu entsprechende Gedenksteine und auf der Homepage der Zieglerschen ist diese Geschichte ausführlich dargestellt.